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102: Zukunftsethik zwischen Sexrobotern, Schwindelgefühl und neuer Resonanz

Ingo Stoll • 20. Dezember 2019

Prof. Thomas Beschorner

Was für eine Zukunft möchten wir? Diese zentrale Frage stellt der Wirtschaftsethiker und Autor Prof. Thomas Beschorner der Universität St. Gallen. Für die Diskussion sollten wir uns die nötige Zeit nehmen und neue Resonanzräume schaffen, sonst wird uns die Technologie überrollen. Mit provokanten Thesen über unsere schwindelerregende Gesellschaft, seiner Forderung nach Zulassungsverfahren für Risikotechnologien und neuen Gedanken zum zukünftigen Verhältnis von Mensch und (Sex)Robotern lädt er im MoTcast mit Audiograf Ingo Stoll unterhaltsam und tiefsinnig in den spannenden Dialog ein. 

"Wir laufen Gefahr, dass unsere Gesellschaft auseinanderfällt."

Bullshit!

Bullshit - was ihn von der Lüge unterscheidet und was ihn so gefährlich macht, analysierte der US-Philosoph Harry G. Frankfurt bereits 1986. Bullshit, das stellt Frankfurt gleich klar, ist mehr als eine bloße Lüge, und er beginnt seine „theory of bullshit“ denn auch mit einer Definition, in Abgrenzung zur Lüge: „Wer eine Lüge erfinden will, muss glauben, die Wahrheit zu kennen.“ Im Gegensatz zur Lüge, die ohne Wahrheit nicht denkbar ist, weiß der Bullshit mit der Wahrheit schlicht nichts anzufangen. Frankfurt: „Gerade in dieser fehlenden Verbindung zur Wahrheit – in dieser Gleichgültigkeit, wie die Dinge wirklich sind – liegt meines Erachtens das Wesen des Bullshits.“ 


Den Lügner kann man noch argumentativ stellen. Den Bullshiter nicht - und dann bewegen wir uns außerhalb einer rationalen Verständigung. Was soll man da noch ausrichten, wenn Menschen behaupten, die Erde sei eine Scheibe?"

Prof. Thomas Beschorner: In schwindelerregender Gesellschaft

Thomas Beschorner ist Professor für Wirtschaftsethik und Direktor des Instituts für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen. Zudem schreibt er über ökonomische und gesellschaftliche Herausforderungen regelmäßig für Medien wie Spiegel Online, DIE ZEIT oder die Neue Zürcher Zeitung.

Beschorner entlarvt pointiert die Komplexität und Unsicherheit, Fake News und schön verpackte Lügen unserer Welt
 

Egal ob Wirtschaftspolitik, Bildungsfragen, Nachhaltigkeit oder Künstliche Intelligenz: Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft und Gegenwart findet unsere Gesellschaft kaum mehr. Stattdessen hat sie mit Täuschungen, Fake News und rhetorischem Nonsens zu kämpfen, die in allerlei raffinierten Gewändern daherkommen und den Blick auf die Wirklichkeit verschleiern. Das kommt nicht von ungefähr, erklärt der Wirtschaftsethiker Thomas Beschorner: Die Gesellschaft ist gefangen im Schwindel, und zwar in doppelter Hinsicht. Einerseits macht uns die Komplexität der Gegenwart schwindelig und sorgt für individuelle wie gesellschaftliche Unsicherheiten. Dadurch fallen, andererseits, Schwindeleien auf fruchtbaren Boden – ein Teufelskreis. Klug und wortgewandt seziert der St. Gallener Professor die Abhängigkeiten der Gesellschaft von der Wirtschaft, fragt nach unseren Werten und unserer (Un-)Moral. Eine pointierte Bestandsaufnahme der taumelnden Gegenwart unserer Gesellschaft und der Zukunftsfragen, die wir mit klarem Blick beantworten müssen. 



Das Buch „In schwindelerregender Gesellschaft. Gleichgewichtsstörungen der modernen Welt“ von Thomas Beschorner ist im Oktober 2019 im Murmann Verlag erschienen.


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Zitate und Statements aus der Sendung

"Wirtschaftsethik ist eine Zwischendisziplin - und mehr als Wirtschaft + Ethik."

 

"Roboter werden unsere Kollegen am Arbeitsplatz, sie werden und pflegen und wir können sie sogar im Bett zum Sex erwarten. Alles kein Science Fiction mehr. Deshalb lautet die Frage: Was für ein Leben möchten wir?"

 

"Ethik hat mitunter einen ganz schlechten Ruf als Gutmenschentum. Aber Ethik will nichts vorschreiben. Es ist kein 'müssen', sondern maximal ein 'sollen'."

"Wir leben in schwindelerregender Gesellschaft. Unsere Schwindelgefühle sind nicht nur ein körperliches, sondern mittlerweile auch ein soziales und gesllschaftliches Gefühl. Uns ist die Orientierung verloren gegangen."

 

"Wenn Sie sich heute für ein Studienfach entscheiden, sollten Sie sich bereits fragen, ob es diesen Job in 20 oder 30 Jahren noch geben wird - oder ob er durch einen Roboter erstetzt werden wird."

 

"Wenn wir Orientierung suchen, dann fahren wir auf einfache Erzählungen ab. Das sind aber nur Scheinangebote."

 

"Unser Wunsch nach emotionalem Erleben ist so stark, dass wir uns dem rationalen Diskurs entziehen. Rationale Diskurse basieren auf einer alten Institutionenordnung, die wir heute vielfach ablehnen."

"Die SPD ist langsam schon gar keine Volkspartei mehr. Und der CDU wird es nicht anders gehen. Das sind alte Insitutionenordnungen, die nicht mehr zum 'Neuen Ich' passen."

 

"Mit der aufklärerischen Keule kommt man keinen Schritt weiter. Wir müssen über neue Formen der gesellschaftlichen Partizipation nachdenken, die dem Bedarf des emotionalen Erebens gerecht werden."

 

"Wir müssen neue Resonanzräume organisieren - und nicht nur auf der Straße grölen oder auf Twitter ketzen."

 

"Sie müssen sich immer wieder neu erfinden. Das ist Bestandteil des modernen Hamsterrades. Das ist unglaublich anstrengend."

 

"Wirtschaftlichen Akteuren mit einem wirtschaftlichen Eigeninteresse kann es heute gelingen, unsere demokratischen Prozesse zu beeinflussen. Das sehe ich als eine massive Gefährdung unserer Demokratie an."

 

"Der Kern unternehmerischer Verantwortung ist die Frage, wie Unternehmen ihre Gewinne erwirtschaften - nicht nur eine Spendenethik am Ende der Kette."

"Der homo economicus lebt noch gut und heilig an Wirtschaftsfakultäten und Business Schools."

 

"Ordnungspolitik denkt sehr stark aus einer ex post Perspektive. Was wir brauchen, ist ex ante ein Zulassungsverfahren für Risikotechnologien wie künstliche Intellingenz oder Biotechnologie."

 


"Wir müssen die Möglichkeiten haben, darüber nachzudenken, was wir wollen - sonst lassen wir uns von der Technologie überrollen."

 

"Welche Verantwortung könnten wir gegenüber Robotern haben? Darf man seinen Pflegeroboter schlagen? Wir brauchen eine neue Roboterethik, um die Fragen des Menschseins zu diskutieren."

 

"Heute fehlt uns das Vokabular, um unser zukünftiges Verhältnis zu Robotern zu definieren."

 

"Roboter sind nicht nur reine Objekte. Die kategoriale Einteilung von Subjekt und Objekt muss überdacht werden."

 

"Ja, wir brauchen Antworten. Aber für die wichtige Diskussion müssen wir manche Fragen überhaupt erstmal stellen."

Links zur Sendung

 

Mein Dank gilt Thomas Beschorner für seine Zeit und seinen Aufruf zur gesellschaftlichen Diskussion in neuen Resonanzräumen, Formaten und Gedanken.

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