Hörtipp: Dieser Artikel steht auch als eingesprochene und ergänzend kommentierte Version zum Zuhören zur Verfügung.
Verewigen – dieses Wort begegnete mir vor Kurzem in einer Sendung des Über Podcast über Tod und Trauer (Podcasts, die Trost spenden). In der Resonanz dazu bin ich zu einer überraschenden Erkenntnis gelangt.
Vielen Audiografien geht der Wunsch voraus, Gedanken, Erlebnissen und Erzählungen zu bewahren. Es ist ein starkes Motiv, etwas aus dem eigenen Leben an die nächsten Generationen weiterzugeben. Manche sprechen sogar vom eigenen Vermächtnis für die Ewigkeit. Ewigkeit? Ist das nicht etwas vermessen?
Technisch gesehen sind Audiografien digitale Güter, die tatsächlich ewig erhalten bleiben können, sofern in der Zukunft ausreichend Konverter und Speichermedien zur Verfügung stehen. Das Internet vergisst bekanntlich nichts - vielleicht niemals. Aber inhaltlich?
„Audiografien sind Geschenke für die Ewigkeit“, so habe ich es selbst einmal formuliert. Hinter dieser Aussage steckt weniger eine Absolutheit, als mehr eine gewisse Sehnsucht nach Unsterblichkeit. Etwas von uns möge unsere begrenzte Lebenszeit überdauern und weiter in den Erinnerungen zukünftiger Generationen lebendig bleiben. Fotos sind dabei nur bedingt geeignet, weil sie die Geschichten hinter den Bildern nicht erzählen können. Audiografien können das.
Wer ein Vermächtnis hinterlassen möchte, hinterlässt es immer für andere. Was immer das „etwas“ ist, was vermacht werden soll, es wurde vermutlich über die Lebenszeit geschaffen. Es klingt, als wäre es fertig und wartet nur noch auf die Entscheidung, es an die nächste Generation zu übergeben.
Wer jedoch die Motivation verspürt, sich zu verewigen, begibt sich am Ende auf einen anderen Weg. In der selbstreflexiven Formulierung dieses Aktes steckt zwingend ein aktiver Prozess, auf den ich mich einlassen muss. Es ist ein Prozess, der Reflexion beinhaltet. Sich zu verewigen bedeutet, sich klar darüber zu werden, wer ich geworden bin und was von meinem Entwicklungsweg bleiben soll - und für wen.
Beim Sich-Verewigen geht nicht um den Bau eines Denkmals als verehrungswürdiges Dokument der eigenen Lebensleistung. Es geht nicht um die Errichtung eines Statussymbols. Vielmehr ist es eine Einkehr und innere Bilanzierung des eigenen Gewordenseins.
Es geht darum, wirklich in die Präsenz zu gehen. Was ist jetzt? Wer bin ich in diesem Moment? Sich zu vergegenwärtigen meint wirklich gegenwärtig zu sein und auch sich selbst gewahr zu sein.
In einer Audiografie begegnet sich die Menschen selbst. Sie betreten in den Gesprächen einen Raum, in dem sie sich vergegenwärtigen können. Und sie können sich in Beziehung zu ihrer eigenen Entwicklung setzen. Welche Wegmarken gab es? Welche Menschen, Umstände und Begegnungen haben sie geprägt? Was von ihrem heutigen Ich war immer schon da – und was haben sie geändert oder zusätzlich an Potenzial freigesetzt?
Wenn Menschen sich in diesem Prozess der Vergegenwärtigung selbst begegnen und begleiten lassen, dann steckt in ihren Lebensaudiografien immer etwas Wahrhaftiges und Wertvolles. Die audiografischen Aufzeichnungen bilden einen Raum für Selbsterkenntnisse und persönliche Zeugnisse – und genau diese geteilten Erzählungen von und über uns lohnen die Verewigung. Sie sprechen davon, wer wir waren, welchen Sinn wir darin gefunden haben und was uns als Persönlichkeiten wirklich ausgemacht hat.
In diesem Verständnis geht es also nicht darum, nur die oft wiedergegebenen Anekdoten des Alltags zu erzählen. Derart festgehaltene Geschichten können unterhaltsam sein, allzu oft werden sie über die Zeit beliebig und für zukünftige Zuhörer:innen belanglos, weil der tiefere Wunsch nach echter Empathie zum erzählenden Menschen in ihnen unerfüllt bleibt.
Wenn das eigene Erzählen jedoch auch ein Prozess des Sich-Vergegenwärtigens wird, wenn es eine Reflexion der Beziehung mit sich, den anderen und der Welt beinhaltet, dann entstehen wertvolle Unikate, die verewigt werden sollten. Dabei ist es unerheblich, ob die Menschen bewusst und reflektiert darüber sprechen können, oder ob sich diese Momente dezent in der Stimme, den etwas zu langen Pausen und einem plötzlichen Leuchten in den Augen zeigen.
In der Audiografie erlebe ich immer wieder eine große Klarheit bei Menschen, die sich ihrer Sterblichkeit bewusst sind. Vieles, was uns unser Leben lang beschäftigt, verliert auf den letzten Metern seine überzeichnete Bedeutung. Im Angesicht der eigenen Endlichkeit sinkt auch das Bedürfnis, sich und anderen etwas vorzumachen. Erkenntnisse und persönliche Wahrheiten in diesen Momentaufnahmen lohnen sich immer, bei jedem und für die Verewigung.
Ein Hoch auf uns
Auf dieses Leben
Auf den Moment
Der immer bleibt
Ein Hoch auf uns
Auf jetzt und ewig
Auf einen Tag
Unendlichkeit
[Andreas Bourani – Auf uns]