"Mein Vorwurf an die Universitäten ist, dass sie das, wofür die
Studierenden brennen, nicht fördern, sondern abtrainieren."
Unter den deutschen Ökonomen ist Silja Graupe wahrlich eine Außenseiterin. Ihre Spezialität: Sie sprengt die Grenzen ihres Wissenschaftsgebietes mithilfe der Philosophie auf. Und weil ihr die herkömmliche Ökonomiebildung an staatlichen Hochschulen zu weltfremd und starr ist, gründete Graupe mit anderen eine eigene Hochschule.
Als Studentin musste Silja Graupe an einer japanischen Hochschule auf die harte Tour lernen, dass ein wissenschaftliches Paradigma nicht einfach so verletzt werden darf, schon gar nicht von einer Grünschnabel-Ökonomin. Ihre Studienarbeit zur japanischen Finanzkrise zerriss der betreuende Professor damals in der Luft. Er brüllte sie auf dem Campus urplötzlich an – und sie hatte keinen blassen Schimmer, was das sollte. Später, in Berlin, erkannte ein Professor dann genau diese Arbeit mit einer sehr guten Note an. Dort war das japanische Ökonomie-Paradigma kein Thema. Da gibt es ein anderes.
[aus: MERTON - Online-Magazin des Stifterverbandes, https://merton-magazin.de/die-sprengmeisterin]
"In ihrem Vortrag stellt Silja Graupe erstmalig ein neues Erkenntnisparadigma dar, das verkrustete ökonomische Denk- und Handlungsweisen aufbricht und eine neue Form wirklicher Tiefenpluralität möglich macht."
#coronaverstehen - Prof. Dr. Silja Graupe: Wie wir Ökonomie in Krisenzeiten neu gestalten können
Vision:
Heutige Gesellschaften stehen vor vielfältigen und oft schwer überschaubaren Herausforderungen. Soziale, wirtschaftliche und ökologische Krisen gehören ebenso dazu wie Krisen der Demokratie. Wir möchten als Hochschule einen Typ von Wissenschaften begründen und kultivieren, die Menschen zur verantwortungsvollen Bewältigung dieser Herausforderungen sowie zu einem guten Leben in einer häufig komplexen, chaotischen und widerspruchsvollen Welt befähigen. Dabei wollen wir insbesondere zu einer sich verantwortlich gestaltenden Gesellschaft sowie, in ihr eingebettet, einer lebensdienlichen Wirtschaft beitragen.
Selbstverständnis: In unserer Lehre und Forschung stehen die Verantwortung für Mitmensch und Mitwelt im Mittelpunkt. Statt in einer vermeintlich wertneutralen akademische Distanz zur Welt liegt ihr Ausgangspunkt in der konkreten Sorge um die Welt und deren Problemlagen. Diese Sorge suchen wir in reflektiertes Mitfühlen, in ein Hineinversetzen in fremde Perspektiven, in begründete Wertvorstellungen und in verantwortliches Handeln zu wandeln. Dabei werfen wir die Errungenschaften der bestehenden Wissenschaften keinesfalls über Bord. Wir perspektivieren sie aber historisch und heben sie zugleich in einer „neuen Aufklärung“ auf: eine Aufklärung, die darum weiß, dass alles Wissen kontextabhängig ist, und die dazu befähigt, mit Mut und Originalität die Probleme der Welt in ihren Kontexten zu erforschen und dabei die Rolle der Wissenschaften kritisch zu beleuchten. Zukunft wollen wir so im Wissen um das bereits Gewordene in einer kreativen Gegenwart gestaltbar machen.
[aus: Vision und Selbstverständnis, Website der Cusanus Hochschule]
"Wo sich Gesellschaft wirklich neu entscheiden kann, ist in der Wirtschaft."
"Ich stelle die Wurzeln des Denkens, die wir in der Ökonomie haben, grundsätzlich in Frage."
"Der heutige Wissenschaftsbetrieb ist mit dem, was ich mit Studierenden gemeinsam erarbeiten will, nicht vereinbar."
"Wenn die staatlichen Hochschulen bestimmte Innovationen nicht ermöglichen, dann gründen wir halt selbst eine."
"Mich haben immer schon die großen Zusammenhänge dahinter interessiert."
"Es ist immer die gleiche Geschichte: Menschen studieren Wirtschaft, um etwas zu gestalten - nur um dann in diese total abstrakten Scheinwelten - in diese akademischen Elfenbeintürme - entführt zu werden. Ohne, dass sie jemals eine Erklärung dafür bekommen. Das ist die Grundproblematik dieser Studiengänge."
"Wir brauchen strukturelle Innovationspotenziale in den Hochschulen."
"Wir sollten als Akademiker nicht nur Bücher schreiben, sondern unser Wissen fruchtbar machen zur Veränderung von Strukturen."
"Die Hochschul(neu)gründung ist das dickste Brett, das zu bohren ist. Es eröffnet aber auch viel mehr Spielräume und macht vielen Menschen Mut."
"Für mich tragend war die Frage nach Verantwortung für junge Menschen."
"Wenn wir eine neue ökonomische Bildung schaffen wollen, und wenn wir Transdisziplinarität wollen, dann müssen wir dafür neue Exzellenzkriterien selber schaffen, weil es diese Art der Standards bisher überhaupt nicht gibt."
"Wir haben jeden Stein einmal hochgehoben. Es ist in jedem Fall sehr idealistisch gewesen und wir müssen es ständig anpassen."
"Es geht mir nicht daraum, eine Art Shangri-La der universitäten Bildung zu schaffen. Wir versuchen wirklich der Ort zu sein, wo noch Gruppen miteinander sprechen, die sonst nicht mehr miteinander sprechen."
"Es war ein bildungspolitischer Kampf, überhaupt die Anerkennung (als staatliche Hochschule) zu bekommen."
"Wir sehen uns in dem Bereich der radikalen Innovationen."
"Mein Vorwurf an die Universitäten ist, dass sie das, wofür die Studierenden brennen, nicht fördern, sondern abtrainieren."
"In der ökonomischen Bildung herrscht heute systemische Gewalt."
"Der Hauptstrom der Ökonomisierung gehr davon aus, dass Denken zu 90 Prozent unbewusst und damit nicht zugänglich ist - zumindest nicht für die Masse der Leute. Das ist für mich eine menschenverachtende Art über Menschen zu reden und ihnen die Möglichkeit zu nehmen, sich über sich selbst aufzuklären. Und wenn sie keine Möglichkeit in der Bildung haben, tun sie es dann auch nicht. Für mich hat das nichts mit der Natur der Menschen zu tun, sondern damit, wie wir sie ansprechen."
"Ich halte ein Studium der Volkswirtschaftslehre für ein absolutes Risikogebiet. BWL übrigens auch."
"Wir versuchen auch, den Studierenden zu vermitteln, dass das reine Reich von Freiheit und Kreativität - also als kreative Einzelunternehmer - der Idee, einen strukturellen Wandel herbeizuführen, widerspricht."
"Wir fallen - wie jetzt nach Corona auch wieder - in alte Strukturen zurück. Und diese Strukturen sind problematisch."
"Bildung ist das dickste Brett, was man bohren kann. Aber es kommt auch ordentlich was raus."
"Was mich stört und auf die Palme bringt ist, dass wir den Menschen so unglaublich wenig zutrauen."
"Wir versuchen, Schutzräume zu bauen für Entwicklung. Und wir sehen, dass diese Schutzräume immer wieder existenziell gefährdet sind."
Mein Dank gilt Prof. Silja Graupe für Ihre Zeit und Offenheit!