"Die Purpose-Diskussionen finde ich eine furchtbar ärgerliche Mode, weil sie so übergriffig ist. Es reicht jetzt der Organisation plötzlich nicht mehr, dass man zur Arbeit geht und seinen Job macht, sondern man soll das quasi im tiefsten Inneren seines Unterbewusstseins wollen."
[Entrée aus dem brand eins Artikel "Keine Chefsache"]
Die Soziologin, Jahrgang 1979, forscht, lehrt und publiziert am Lehrstuhl für Organisations- und Verwaltungssoziologie der Universität Potsdam zu daten- gestütztem Entscheiden und postbürokratischen Organisationseinheiten in bürokratischen Organisationen. Seit 2011 arbeitet sie zudem bei der Hamburger Unternehmensberatung Metaplan, heute als Partnerin. Sie berät zu Reorganisationsprozessen, digitaler Transformation, Strategieentwicklung und Projektführung. Ihre Branchenschwerpunkte sind Logistikunternehmen, Autobauer und Medienunternehmen.
Vita
Judith Muster (geboren 1979) ist Soziologin und arbeitet seit 2011 bei Metaplan, heute als Partnerin. Sie berät zu Reorganisationen, Strategieentwicklung und Projektführung. Branchenschwerpunkt sind Logistikunternehmen, Autobauer sowie Dienstleistungs- und Medienunternehmen. Außerdem forscht, lehrt und publiziert sie an der Universität Potsdam zu postbürokratischen Organisationsmodellen wie Holacracy, zu datengestütztem Entscheiden, zu Führung und Innovation.
Persönliches
Sich organisierende Systeme sind auch außerhalb von Metaplan Judiths Steckenpferd und damit Gegenstand genauer Betrachtung und Diskurse: Ob zu Assamblages in sozialen Medien, Protestorganisationen, Subkulturen – oder eben im eigenen Familiensystem. Die verbleibende Zeit verbringt sie Klarinette spielend oder lesend.
"Die Organisationssoziologie schaut sich an, wie Organisationen als soziale Systeme tatsächlich funktionieren. Luhmann hat gesagt, er will das faktische Verhalten in Organisationen beschreiben - nicht, wie sie sein sollen."
"Mich interessiert, wie kommt es zu einem gewissen faktischen Verhalten in der Organisation - und was haben die Eigenlogiken des Organisierens damit zu tun?"
"Die Organisation ist aus meiner Sicht der wirkmächtigste soziale Mechanismus der Moderne."
Judith Muster im Gespräch mit Alexander Kluge auf dem WOLcamp 2019 in Berlin - zu hören im MoTcast 100.
"Man kann eigentlich Organisationen nicht entfliehen. Und Organisationen sind so verrückte Gebilde, die Strukturen ausbilden, die so jenseits von persönlichen Leidenschaften sind - und die machen so viel mit den Menschen - dass es mich vor ihnen immer ein bisschen gruselt. Mein Umgang damit ist der Versuch, möglichst viel über sie zu wissen."
"Wenn ich mich in Organisationen bewege, dann entdecke ich Dinge bei denen ich denke 'Das kann doch nicht euer Ernst sein?!'."
"Es ist keine Pathologie von Organisationen, dass die so verrückte Dinge tun, sondern so sind organisierte Systeme."
"Ich werde immer dann skeptisch, wenn eine Gruppe oder Person mit persönlichen Eigenschaften beschrieben wird, um zu erklären, warum die schlechter arbeitet. Und dann hat man 25 Gruppenleiter, die alle gleichzeitig anfangen würden, sich schlechter zu verhalten. Ist das also ein individuelles Problem dieser Gruppenleiter? Das ist relativ unwahrscheinlich. Es ist eher wahrscheinlich, dass es irgendwelche strukturellen Probleme gibt, die dafür sorgen, dass diese 25 Gruppenleiter gleichzeitig anfangen, sich merkwürdig zu verhalten."
"Sind wir nicht alle ein bisschen hola?" - Judith Muster in der Diskussion auf der Work Awesome 2018
"In Organisationen wird meist viel zu schnell persönlich zugrechnet. Man kann aber hinter die Fassade gucken und sehen, dass meist mehr dahinter steckt als nur die persönliche Unzurechenbarkeit."
"Man kann sehr, sehr lange die Strukturen von Organisationen besser zu machen, bevor man anfangen muss, an den Personen zu arbeiten."
"Das nervt mich an aktuellen Managementdiskursen, die sehr stark auf die Person rekurieren und sehr stark versuchen, die Person in Verantwortung für das Verbessern schlechter Organisation zu bringen."
"Wir stellen uns Organisationen wie perfekte Maschinen vor, an deren Hebeln man nur die richtigen Feinjustierungen vornehmen müsse und dann funktionieren sie. So funktonieren Organisationen aber nicht."
"Es gibt Managementmoden, deren Trends man sich nicht gut entziehen kann - wo man zeigen muss, dass man da mitmacht. Und die man nutzen kann, um in den Organisationen auch etwas voranzubringen. Eine dieser Moden ist eben das Thema Agilität."
"Keiner kann uns wirklich erklären, was Agilität eigentlich ist."
"Organisationen sind eben nicht dafür da, Bedürfnisse von Menschen zu brfriedigen, sondern sie lösen sich davon und finden dafür sogenannte funktionale Äquivalente."
"Die Purpose-Diskussionen finde ich eine furchtbar ärgerliche Mode, weil sie so übergriffig ist. Es reicht jetzt der Organisation plötzlich nicht mehr, dass man zur Arbeit geht und seinen Job macht, sondern man soll das quasi im tiefsten Inneren seines Unterbewusstseins wollen."
Mein Dank gilt Judith für mehr Klarheit im Wahnsinn des Organisierens und für Ihre Zeit in einem prall gefüllten Kalender.